Pater Oswald von Nell-Breuning SJ

Das Nell-Breuning-Institut trägt einen großen Namen und knüpft damit an eine reiche Tradition der Wirtschafts- und Gesellschaftsethik an: Die Geschichte der Bundesrepublik begleitete Pater Oswald von Nell-Breuning SJ (1890-1991) als „Nestor der katholischen Soziallehre“. Bischöfe und kirchliche Verbände, Gewerkschaften und Parteien, wissenschaftliche und politische Institutionen würdigten seinen herausragenden Einsatz für soziale Gerechtigkeit wie auch die ungewöhnliche Breite seiner wissenschaftlichen Kompetenz. Denn der Jesuitenpater lehrte nicht bloß über Politik; er engagierte sich selbst politisch. Seine Positionen waren dabei immer das Ergebnis ernsthafter wirtschafts- und gesellschaftsethischer Reflexionen, die auch die Forschung anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen einbezogen.

Kurzbiografie

Der Jesuitenpater Oswald von Nell-Breuning war einer der führenden kritischen Kommentatoren und Impulsgeber für die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Weimarer und Bonner Republik. Er war ein Brückenbauer zwischen Katholizismus und Sozialdemokratie bzw. Deutschem Gewerkschaftsbund und als langjähriger Nestor der katholischen Soziallehre zugleich eine kritische Stimme in den innerkirchlichen Debatten, z.B. um das kirchliche Arbeitsrecht.

Bereits zu Lebzeiten galt Nell-Breuning als einer der führenden Vertreter und Interpreten der Katholischen Soziallehre. Zugleich wurde ihm eine herausragende Bedeutung als öffentlicher Intellektueller zugesprochen, der sowohl wirtschaftswissenschaftliche, juristische, philosophische wie auch theologische Kompetenzen aufwies. Als öffentlich intervenierender Intellektueller, als Politikberater und Hochschullehrer hat er sich mit fast allen wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen seiner Zeit befasst – und stand so häufig im Zentrum politischer Debatten.

Oswald von Nell-Breuning wurde am 8. März 1890 als Sohn einer Adelsfamilie in Trier geboren. Nach einem kurzen Studienauftakt in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften studierte er Theologie und Philosophie. Mit Blick auf die Nationalökonomie beanspruchte er den Status eines Autodidakten. 1911 trat er in den Orden der Gesellschaft Jesu (SJ) ein; 1921 wurde er zum Priester geweiht. Am theologischen Fachbereich der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde er 1928 mit einer grenzgängerischen Arbeit über die "Grundzüge der Börsenmoral" zum Dr. theol. promoviert. Noch im selben Jahr wurde er als Professor für Moraltheologie, Kirchenrecht und Gesellschaftswissenschaft an die Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main berufen. 

Mit Unterstützung des so genannten Königswinterer Kreises, einer losen Vereinigung von katholischen Intellektuellen (darunter Goetz Briefs, Theodor Brauer, Paul Jostock, Franz H. Müller und Gustav Gundlach SJ), leistete Nell-Breuning die grundlegenden Vorarbeiten für das 1931 erschienene Rundschreiben von Papst Pius XI. »Quadragesimo Anno«, einem einschlägigen Dokument päpstlicher Sozialverkündigung, das unter anderem die Berufsständische Ordnung zum Thema hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zu einem angesehenen Berater in wichtigen Politikfeldern der sich formierenden Bundesrepublik Deutschland: Er war Mitglied im Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft (1948-1969), stellvertretender Vorsitzender des Wohnungswirtschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen (1950-1958), Mitglied des Beirats beim Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen (1959-1961) und seit 1959 Mitglied des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Zugleich war er als Professor und Dozent auch außerhalb der ordenseigenen Hochschule Sankt Georgen tätig: zum Beispiel seit 1948 mit einem Lehrauftrag für Moraltheologie und Sozialethik an der Philosophischen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main, seit 1956 als Honorarprofessor für philosophische Grundfragen der Wirtschaft an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der gleichen Universität, ab 1949 mit Lehrtätigkeiten an der Akademie der Arbeit Frankfurt am Main. Neben dieser Lehrtätigkeit begleitete er die programmatischen Diskussionen und die politische Praxis der Gewerkschaften und der beiden großen Volksparteien SPD und CDU.

Innerhalb des bundesdeutschen Katholizismus war er zeitweise ein gefragter Berater in kirchlichen Gremien und Verbänden. Dabei ragen seine Mitwirkung in der Gewerkschaftsdiskussion der 1950er Jahre, seine einflussreiche Teilnahme an den Mitbestimmungsdebatten der 1960er Jahre und schließlich sein Engagement auf der Würzburger Synode der katholischen Bistümer Westdeutschlands (1971-1975) für den Aufsehen erregenden Beschluss »Kirche und Arbeiterschaft« heraus.

Nell-Breunings Einlassungen bildeten oft das Zünglein an der Waage. Er präsentierte Kompromisslösungen zwischen opponierenden Interessen; teils wurden seine Einlassungen aber auch von konkurrierenden Positionen gleichermaßen zu Legitimationszwecken in Anschlag gebracht. Jedenfalls wurde der Jesuitenpater in den politischen Arenen über die Grenzen von Parteien und Tarifpartnern hinweg allgemein akzeptiert.

Für sein Lebenswerk wurden ihm zahlreiche späte Ehrungen zuteil: z.B. der Guardini-Preis der Katholischen Akademie in Bayern (1972), die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt am Main (1977), die Leuschner-Medaille des Landes Hessen (1979) und der Hans-Böckler-Preis (1980). An seinem 100sten Geburtstag wurde ihm von Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker das Großkreuz des Bundesverdienstordens (höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland) verliehen.

Als Jesuit und Kirchenmann, als Wissenschaftler und öffentlicher Intellektueller, als Gesprächspartner und Berater hat Nell-Breuning auf das Wirtschafts- und Sozialmodell der Weimarer und Bonner Republik Einfluss genommen. Insbesondere hat er durch seine Theoriearbeit und politisch-praktischen Interventionen dazu beigetragen, dass einerseits die katholisch-kirchlichen Institutionen und der soziale Katholizismus den gesellschaftlichen Modernisierungsprozess der Bundesrepublik mitgehen konnten, und dass andererseits die westdeutsche Modernisierung – insbesondere der Aufbau der sogenannten „Sozialen Marktwirtschaft“ – deutlich katholisch-sozial imprägniert war.

Am 21. August 1991 starb Pater Oswald von Nell-Breuning SJ in Frankfurt am Main.

Ausgewählte Werke

  • 1928 Dissertation: Grundzüge der Börsenmoral. Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1930 Aktienreform und Moral. Die sittliche Seite der Aktienreform. Berlin: Heymann.
  • 1930-1931 Vorarbeiten zur Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI.
  • 1932 Die soziale Enzyklika. Erläuterungen zum Weltrundschreiben Papst Pius‘ XI. über die gesellschaftliche Ordnung. Köln: Katholischer Tat Verlag.
  • 1947-1950 Wörterbuch der Politik (5 Hefte, hg. mit Hermann Sacher). Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1956-1960 Wirtschaft und Gesellschaft heute (3 Bände). Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1968 Baugesetze der Gesellschaft. Freiburg im Breisgau: Herder; Mitbestimmung. Theorie und Praxis der Gewerkschaften. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt; Streit um die Mitbestimmung. Frankfurt am Main: Europäische Verlagsanstalt.
  • 1969 Mitbestimmung – wer mit wem? Freiburg im Breisgau: Herder; Auseinandersetzung mit Karl Marx. München: Max Hueber.
  • 1970 Aktuelle Fragen der Gesellschaftspolitik. Köln: J. P. Bachem.
  • 1972 Wie sozial ist die Kirche? Leistungen und Versagen der katholischen Soziallehre. Düsseldorf: Patmos.
  • 1974 Kapitalismus – kritisch betrachtet. Zur Auseinandersetzung um das bessere System. Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1975 Grundsätzliches zur Politik. München: Olzog; Der Mensch in der heutigen Wirtschaftsgesellschaft. München: Olzog.
  • 1977 Soziallehre der Kirche. Erläuterungen der lehramtlichen Dokumente. Wien: Europa.
  • 1979 Soziale Sicherheit? Zu Grundfragen der Sozialordnung aus christlicher Verantwortung. Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1980 Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre. Wien: Europa.
  • 1983 Soziallehre der Kirche. Erläuterungen der lehramtlichen Dokumente. Wien u.a.: Europa; Arbeit vor Kapital. Kommentar zur Enzyklika „Laborem exercens“ von Johannes Paul II., in: Soziale Brennpunkte, Nr. 10, S. 190; Worauf es mir ankommt. Zur sozialen Verantwortung. Freiburg im Breisgau u.a.: Herder.
  • 1985 Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre. München: Olzog; Arbeitet der Mensch zuviel? Freiburg im Breisgau u.a.: Herder.
  • 1987 Unsere Verantwortung. Für eine solidarische Gesellschaft. Freiburg im Breisgau: Herder.
  • 1990 Den Kapitalismus umbiegen. Schriften zu Kirche, Wirtschaft und Gesellschaft. Düsseldorf: Patmos.

Alle Artikel und Bücher von Oswald von Nell-Breuning sind verzeichnet in den „Sachdienlichen Hinweisen. Verzeichnis sämtlicher Schriften" (2005), hg. von Friedhelm Hengsbach et al., Münster u.a.: LIT.

Sekundärliteratur (chronologisch)

  • Hagedorn, Jonas (2018): Oswald von Nell-Breuning SJ. Aufbrüche der katholischen Soziallehre in der Weimarer Republik. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • Emunds, Bernhard/Hockerts, Hans Günter (Hg.) (2015): Den Kapitalismus bändigen. Oswald von Nell-Breunings Impulse für die Sozialpolitik. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • Arnold, Johannes (Hg.) (2007): Oswald von Nell-Breuning, Anekdoten – Erinnerungen – Originaltexte. Trier: Paulinus.
  • Hengsbach, Friedhelm/Möhring-Hesse, Matthias (Hg.) (2005): Oswald von Nell-Breuning SJ. Sachdienliche Hinweise: Verzeichnis sämtlicher Schriften. Münster u.a.: LIT.
  • Losinger, Anton (1994): Gerechte Vermögensverteilung. Das Modell Oswald von Nell-Breunings. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • Chemielewski, Philip J. (1997): Catholic Social Ethics in a Pluralist Age, in: Gregorianum, Jg. 78, S. 95-137.
  • Hengsbach, Friedhelm (1997): Oswald von Nell-Breuning. Ein Leben an der Grenze, in: Pauly, Stephan (Hg.), Theologen unserer Zeit, S. 111-123. München: Kohlhammer.
  • Furger, Franz (1994): Art. Nell-Breuning, Oswald von (1890-1991), in: Müller, Gerhard et al. (Hg.), Theologische Realenzyklopädie, Bd. 24: Napoleonische Epoche – Obrigkeit, S. 254-256. Berlin: de Gruyter.
  • Kuppler, Benno (1992): Oswald von Nell-Breuning SJ (1890-1991). Ein Leben im Dienst der kirchlichen Sozialverkündigung, in: Gregorianum, Jg. 73, S. 329-335.
  • Hengsbach, Friedhelm (1990): Entschieden zur Sache. Werk, kirchliches Umfeld und politische Resonanz Oswald von Nell-Breunings SJ, in: Theologie und Philosophie, Jg. 65, S. 321-348.
  • Hengsbach, Friedhelm/Möhring-Hesse, Matthias/Schroeder, Wolfgang (1990): Ein unbekannter Bekannter. Eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Oswald von Nell-Breuning SJ. Köln: Ketteler.
  • Klein, Heribert (Hg.) (1989): Oswald von Nell-Breuning. Unbeugsam für den Menschen. Lebensbild. Begegnungen. Ausgewählte Texte, Freiburg im Breisgau: Herder.
  • Kroh, Werner (1982): Kirche im gesellschaftlichen Widerspruch. Zur Verständigung zwischen katholischer Soziallehre und politischer Theologie. München: Kösel.
  • Oswald von Nell-Breuning im Gespräch mit Helmut Hammerschmidt, in: Schelting, Karl B. (Hg.) (1981), Zeugen des Jahrhunderts – Portraits aus Wirtschaft und Gesellschaft, S. 119-146. Frankfurt am Main: Fischer.
  • Schwaderlapp, Werner (1980): Eigentum und Arbeit bei Oswald von Nell-Breuning. Praxisorientierte Theorie rekonstruiert und reflektiert in anthropologischer Absicht. Düsseldorf: Patmos.