Politische Wirtschaftsethik

Bearbeitung: Bernhard Emunds , Wolf-Gero Reichert

Leitung:

Laufzeit: 2008 - 2014

Der Begriff "Politische Wirtschaftsethik" verweist auf das Verständnis von Wirtschaft, das diesem wirtschaftsethischen Konzept zugrunde liegt: Wirtschaft wird hier zuerst als Handlungsbereich eines politischen Gemeinwesens verstanden. Darüber hinaus verweist der Begriff auf die Rückbindung der wirtschaftsethischen Reflexionen an die Prozesse der politisch-öffentlichen Meinungsbildung, in denen die Bürgerinnen und Bürger anhand konkreter wirtschaftspolitischer Fragen zu klären versuchen, wie die Wirtschaft ihrer Gesellschaft ausgestaltet sein soll. Politische Wirtschaftsethik knüpft an diese Prozesse demokratischer Meinungsbildung an und entwickelt ökonomisch/sozialwissenschaftlich und ethisch solide begründete Positionen, die wiederum in diese Prozesse eingebracht werden können.

Ausgangspunkt der Politischen Wirtschaftsethik ist das demokratische Selbstverständnis moderner Gesellschaften: Es sind jeweils die Bürgerinnen und Bürger eines politischen Gemeinwesens selbst, die - weithin mit Hilfe etablierter politischer Verfahren - über die Regeln ihres Zusammenlebens entscheiden. Sie können daher auch für das wirtschaftliche Interagieren in ihrer Gesellschaft Regeln beschließen und durchsetzen, die auf ihren ethischen Vorstellungen für wirtschaftliches Handeln beruhen. Solche Regeln können beispielsweise extrem ungleiche Verteilungen der Vorteile zwischen den Beteiligten (z.B. zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer) ausschließen, die Rechte unbeteiligter Dritter (z.B. durch Besteuerung) ins Spiel bringen oder wichtige nicht-wirtschaftliche Institutionen (z.B. die Institutionen der demokratischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung) vor Erosion bewahren. Insofern sind ethische Ansprüche an wirtschaftliches Handeln vielfach in rechtlichen bzw. sozial etablierten Normen verkörpert. Neben informellen Regeln - also Usancen und anderen eingespielten Vorgehensweisen der Wirtschaftsakteure - gehören dazu auch formelle Regeln, von denen ein Großteil auf die Prozesse der demokratischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung der Gesellschaft zurückgeht. Wirtschaftliches Handeln untersteht insofern nicht nur ethischen Ansprüchen, sondern ist auch auf die Einhaltung formeller Regeln verpflichtet. Dabei gehen beide, Ansprüche und Regeln, nicht auf das wirtschaftliche Geschehen selbst zurück, sondern liegen ihm voraus. Die ethischen Ansprüche gründen in einer weit über die Logik wechselseitiger Besserstellung hinausgehenden praktischen Vernunft, die formellen Regeln darüber hinaus auch in den Deliberationen und Beschlüssen eines demokratischen Gemeinwesens. Dieses eröffnet einerseits dem wirtschaftlichen Handeln gezielt Freiräume der individuellen Vorteilssuche, sucht es andererseits aber auch nach eigenen Vorstellungen gerechten und guten Wirtschaftens zu gestalten.

Das dritte Kapitel der finanzethischen Monografie "Politische Wirtschaftsethik globaler Finanzmärkte" (Bernhard Emunds, Wiesbaden 2014) beinhaltet eine systematische Darstellung der Politischen Wirtschaftethik. Im dritten und vierten Kapitel der Monografie "Finanzregulierung zwischen Politik und Markt – Perspektiven einer politischen Wirtschaftsethik" (Wolf-Gero Reichert, Frankfurt/M. – New York 2013) wird das Konzept mit Blick auf das Verhältnis zwischen politischen und einzelwirtschaftlichen Akteuren, formalen (politisch beschlossenen) und informellen (faktisch geltenden) Regeln weiterentwickelt.