Fachtagung am 24. Juli: "Christliche Sozialethik – Orientierung welcher Praxis?"

Geschrieben am 26.07.2017
in: Veranstaltungen

Gemeinsam mit Prof. em. DDr. Karl Gabriel begaben sich die TeilnehmerInnen auf Spurensuche nach heutigen Formen einer Politik aus dem Glauben. Trotz Identitätskrise des politischen und sozialen Katholizismus, Gabriel bescheinigte ihm nach wie vor ein gewisses Mobilisierungspotenzial für eine Politik aus dem Glauben. Spuren davon fänden sich in Sozialraumprojekten, der Dritte-Welt-Arbeit oder der Flüchtlingshilfe. In ihrer Replik erinnerte Prof. Dr. Judith Könemann daran, dass praktizierende Christen häufiger politisch aktiv seien als andere. Aber politisches Engagement von Christen habe sich pluralisiert. Es gäbe verstärkt nicht-kirchliche Allianzen.

An diese Spurensuche schloss sich Prof. Dr. Johannes Eurichs Vortrag zur „Kritik der Liebe“ an. Die karitative Arbeit müsse weiterentwickelt werden, weil Nächstenliebe und Solidarität nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden könnten. Vorfälle wie die des sterbenden Bankkunden in Essen, der von anderen Kunden ignoriert wurde, zeigten: Mitmenschlichkeit müsse kultiviert werden. Eurich nahm Caritas und Diakonie in die Pflicht, sich mit privaten Netzwerken zu verbinden, in den Austausch mit ihnen die eigenen professionellen Kompetenzen einzubringen und deren private Ressourcen zu nutzen. Es ginge nicht darum, die Arbeit der Wohlfahrtsverbände aufzugeben, sondern sie zu vernetzen. Aber leisten die Menschen heute wirklich weniger Nächstenliebe als früher? In seiner Replik erinnerte Bernhard Emunds daran, dass Solidarität gerade in der Familie nicht schwinde, sondern sich verändere. Das zeige zum Beispiel der hohe Anteil der Pflegebedürftigen, die zuhause von Angehörigen gepflegt werden. Emunds sah Caritas und Diakonie vor allem in der Pflicht, Anwältinnen für die Professionalität und faire Bezahlung sozialer Dienstleistungen zu werden.

Die Fachtagung bot Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesse und Dr. Katja Winkler aus Tübingen auch den Raum, ihr Konzept zur Diskussion zu stellen, dass die Urteilskraft Subalterner in die theologisch-sozialethische Theoriebildung einzubinden ist. Wolle die Sozialethik die Urteilskraft dieser Benachteiligten, die aus dem öffentlichen Raum ausgeschlossen sind, im Sinne einer Gerechtigkeit von unten aufgreifen, könne dies nur mittels reflexiver Repräsentation gelingen. Durch die Repräsentation an sich werde die Urteilskraft benachteiligter Menschen gemindert. Obgleich man das nie ganz ausschließen können, müssten SozialethikerInnen dennoch dabei die eigene Rolle als wohlwollende Intellektuelle reflektieren (reflexive Repräsentation), denn auch in ihrem Bemühen als WissenschaftlerInnen, die Subalternen zu repräsentieren, zeigen sie sich wiederum als überlegen . Im letzten Panel plädierten Prof. Dr. Hajo Höhn und Prof. Dr. Bernhard Laux für ein Mehr an sozialethischer Grundlagenforschung. Praxis ohne Theorie — hier sieht Höhn aktuell die größte Gefährdung der Sozialethik. Laux erinnerte unter anderem daran, dass es häufig gerade die Kontexte anwendungsorientierter Ethik sind, die eine grundlagentheoretische Weiterentwicklung der Ethik anstoßen.

Zum Abschluss der Fachtagung blickte Friedhelm Hengsbach SJ selbstkritisch auf sein eigenes Forschen zurück. Wahrscheinlich habe er zu wenig Grundlagenforschung betrieben; schließlich habe er auch mit seinen wissenschaftlichen Beiträgen eigentlich immer nur auf aktuelle politische, gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen reagiert.

Diese und weitere Beiträge von WegbegleiterInnen und KollegInnen Hengsbachs werden Ende 2017 in einem Buch zu Ehren Friedhelms Hengsbachs erscheinen.

Zusammenfassung:  Isabella Senghor